Darf man während einer Pandemie den eigenen Keller betreten? Sicher, aber was ist, wenn der eigene Keller sich nicht im selben Gebäude befindet wie die eigene Wohnung? Man darf hier die Wohnung nur aus triftigem Grund verlassen. Sport unter freiem Himmel ist erlaubt, Treffen mit maximal einer Person aus einem anderen Hausstand ebenfalls, sogar in geschlossenen Räumen. Im eigenen Wohnwagen und in der eigenen Ferienwohnung dürfte ich übernachten und/oder nach dem Rechten sehen. Aber ist es erlaubt, den eigenen Keller im nächsten Stadtviertel zu betreten, um dort ein bis zwei Stunden mutterseelenallein Flamenco zu tanzen? Ich dürfte mit einem Personal Trainer sogar in der eigenen Wohnung trainieren. Auch als Hobbymusikerin dürfte ich mit einer weiteren Person in einem geschlossenen Raum proben. Ich beschließe, dass ich Hobbymusikerin bin – Flamencoschritte sind ja auch Percussion – und ein Personal Training, wenn auch ohne Personal Trainer absolviere.
Nach Monaten nutze ich den ÖPNV und sehe ausnahmslos korrekt getragene FFP-2-Masken. Eine freundliche Kroatin spricht aus, was ich denke: Im Bus hält man überwiegend Abstand, beim Spaziergang an der Isar nicht. Die Massen sitzen, stehen, gehen am Ufer und berühren sich dabei nur gerade so nicht.
Ich tanze nur gut 90 Minuten, das reicht für ein bisschen Körper- und Fußtechnik, Tango, Guajira, Farruca und Petenera. Die Choreographien kann ich mit nur zwei „Hängern“ noch, was mich selbst überrascht. Die „schweren Brocken“ Siguiriya und Tientos lasse ich aus. Ich fühle mich nach der langen Tanzabstinenz weder geistig noch körperlich in der Lage.
Im Spiegel finde ich mich alt, dick und hässlich. Meine grauen Haare ärgern mich. Die Kilos, die ich coronapanikbedingt anfangs abgenommen hatte, habe ich coronafrustbedingt fast wieder zugelegt. Der Mangel an körperlicher Betätigung hat Spuren hinterlassen. Ja, meine Arme sind beim Tanzen nach wie vor ästhetisch (wenn ich daran denke, die Schultern unten zu lassen), ja, auch Carmela Greco, um einiges älter als ich, steht seit Jahren ungeniert mit grauen Haaren auf der Bühne. Ich werde keine Bühne mehr betreten, und dennoch…
Eigentlich will ich auf dem Rückweg nur einmal schauen, ob sie im Bioladen farbloses Henna haben. Haben sie nicht, und ich komme mit mokkabraunem Haarfärbemittel nach Hause. Zu Hause ärgere ich mich über mich selbst und diesen unnötigen Kauf und stelle die Farbe als ein Monument meiner Dummheit ins Regal.